Wie stehst Du zum Shake unmittelbar nach dem Training: gehört dieser zu Deiner Routine wie das morgendliche Zähneputzen? Wenn ja, warum? Wenn nein, boykottierst Du wissentlich Dein Post Workout „anaboles Fenster“ bzw. gibt es dieses überhaupt? Und was sagt eigentlich die Wissenschaft zum „Window of Gains“?
Das Thema Nährstofftiming, also wann und in welcher Menge Kohlenhydrate, Protein und Fett idealerweise gegessen werden sollten, wurde in den letzten Jahren umfangreich erforscht. Intensives Training versetzt Deinen Stoffwechsel in einen katabolen (abbauenden) Zustand. Die geleerten Speicher wollen aufgefüllt und die Muskelproteinsynthese aktiviert werden. Natürlich wollen wir das: wir wollen mehr Muskeln, weniger Fett, verletztes Gewebe so schnell wie möglich reparieren und natürlich auch bestmöglich regenerieren, um am Folgetag in der nächsten Trainingssession den Gains ohne Einschränkungen wieder einen Schritt näher kommen zu können.
Im 2004 publizierten Buch „Nutrient Timing: The Future of Sports Nutrition“1 wurde plausibel dargestellt, dass das Timing der Aufnahme der Nährstoffe enorme Vorteile auf ein Wachstum der Muskeln bietet. Auch Jahre später hält sich der damals geborene Mythos des „anaobolen Fensters“ wacker: Trinke innerhalb kürzester Zeit nach Deinem Training einen Shake bestehend aus Protein und Kohlenhydraten, damit Dein Training nicht „für die Katz“ war. Doch wie nach- und standhaltig ist diese Theorie und wie stehen neuere Untersuchungen auf dem Gebiet zu diesem Thema?
Grundsätzlich sei gesagt, dass viele Forschungsergebnisse für uns CrossFitter mit Vorsicht zu betrachten sind, da Tests oft mit Ausdauersportlern, insbesondere Radfahrern, durchgeführt wurden. Oft wurden Studien mit älteren und/oder untrainierten Probanden und nur über einen kurzen Zeitraum durchgeführt. Es gab Untersuchungen, in denen Versuchsgruppen, die Postworkoutshakes konsumierten, insgesamt mehr Protein über den Tag verteilt aufnahmen als die Referenzgruppe. Wenig aussagekräftig für eine stichfeste Argumentation pro anabolem Window. Darüber hinaus wurden Studien oft in gefastetem Zustand durchgeführt. Falls Du zur Gruppe der Feierabendsportler gehörst, ist Deine letzte Mahlzeit meist vermutlich weniger als acht Stunden her und ein zeitnaher Postworkoutshake ist weniger bedeutungsvoll als für Morgensportler mit nüchternem Magen. Dazu später mehr, kommen wir zunächst zu den durchgeführten Studien der letzten Jahre.
2013 wurde die urbane Legende des anabolen Windows of Gains massiv herausgefordert: mittels eines Reviews zum aktuellen Forschungsstand auf dem Gebiet wurde dargestellt, dass es in Bezug auf Muskelmasse keinen Unterschied macht, ob Du Deinen Shake Pre- oder Post-Workout konsumierst.2 In einer der angeführten Studien von Tipton et al.3 wurden beispielsweise die Auswirkungen der Zufuhr von essentiellen Aminosäuren vor dem Training getestet, da diese auf die Beschleunigung der Proteinbiosynthese eine größere Rolle haben als Kohlenhydrate. Nachweislich bewirkt bereits eine relativ geringe Dosis eine Steigerung der Aminosäuren in Muskel und Blut, die bis zu zwei Stunden lang anhält. Gemäß einer weiteren Studie führen bereits 20 Gramm Whey Protein vor dem Training zu einer 4,4-fachen Erhöhung, was drei Stunden anhält.4
Es stellt sich also die Frage, ob das anabole Fenster nach dem Workout wirklich so wichtig ist oder ob eine angemessene Nährstoffzufuhr vor dem Training nicht gleich effektiv sein könnte? Ob eine gezielte Nährstoffaufnahme um Dein Training herum Sinn macht, wurde in einem direkten Vergleich getestet: unter sonst identischen Parametern, führte eine Probandengruppe Pre-und Post-Workout einen Shake bestehend aus Whey, Glukose und Kreatin zu , während die Referenzgruppe den gleichen Shake morgens und spät abends, zeitlich weit außerhalb des Trainings zu sich nahm. Bei der ersten Gruppe wurde nach zehn Wochen bei zwei von drei Tests erhöhte Kraftwerte und magere Körpermasse festgestellt.5 Leider wurde Pre- und Post-Workout gleichzeitig und nicht isoliert voneinander supplementiert, so dass die erzielten Gains nicht definitiv dem einen oder dem anderen zugeschrieben werden können.
Auf Basis der aktuellen Forschungen inklusive deren dargestellten Limitierungen besteht Uneinigkeit, ob Du für ein optimales Muskelwachstum zwingend innerhalb einer Stunde nach dem WOD einen Shake zu Dir nehmen „musst“. Bezüglich der Ausgangsfrage der Existenz eines anabolen Fensters kann wohl umgedacht werden: statt an eine kleine „Luke“ können wir wohl eher an ein großes anaboles „Tor“ denken, welches seine Pforten schon vor dem Training öffnet und auch nach Geschäftsschluss noch zum Verweilen einlädt. Eine ausgewogene Mahlzeit mit einer qualitativ hochwertigen Eiweißquelle oder eben auch ein Proteinshake vor dem Training reichen aus, um die Zufuhr an Aminosäuren zeitlich bis weit nach dem Training sicherzustellen. Innerhalb von Sekunden nach dem WOD zum Shaker zu greifen ist in diesem Fall also nicht notwendig. Oft kommst Du jedoch abgehetzt von der Arbeit und hast mittags die letzte Mahlzeit zu Dir genommen. In diesem Fall nimmt die Bedeutung der Zuführung von Kohlenhydraten und Proteinen möglichst zeitnah nach Deinem Training zu, um Abbauprozesse zu verhindern und in den anabolen Zustand zu wechseln. Konkret bedeutet dies für Dich: mit einer ausgewogenen Mahlzeit bestehend aus Kohlenhydraten und einer hochwertigen Proteinquelle oder 20 – 40 Gramm Whey und z.B. eine Banane vor und / oder nach Deinem Training machst Du definitiv nichts falsch. Wichtig jedoch: bevor Du Dir Gedanken zum Nährstofftiming machst, überlege zunächst, inwieweit Du Dich an die in unserem Artikel dargestellten Grundsätze einer ausgewogenen Ernährung hältst. Bitte stell sicher, dass Du ausnahmslos jeden Tag neben ausreichend Mikronährstoffen die empfohlene Menge an Protein konsumierst. Erst wenn dies zu Deinem Tag gehört wie das anfangs erwähnte morgendlich Zähneputzen, kann es Sinn machen, dass Du Dir Gedanken zum Nährstofftiming machst.
Falls Du Fragen hast, sprich uns an: wir stehen Dir gern im Rahmen vom 1:1 Nutrition Coaching zur Verfügung.
Quellen:
1 Ivy, J. & Portman R: Nutrient Timing: The Future of Sports Nutrition. 2004, North Bergen, NJ: Basic Health Publications
2 Aragon, A. A., & Schoenfeld, B. J.: Nutrient timing revisited: is there a post-exercise anabolic window? Journal of the International Society of Sports Nutrition. 2013, 10,5. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1186/1550-2783-10-5
3 Tipton, Kevin D. et al: Timing of amino acid-carbohydrate ingestion alters anabolic response of muscle to resistance exercise. American Journal of Physiology-Endocrinology and Metabolism, 2001, Vol. 281 No. 2
Verfügbar unter: https://www.physiology.org/doi/full/10.1152/ajpendo.2001.281.2.E197
4 Tipton, Kevin D. et al: Stimulation of net muscle protein synthesis by whey protein ingestion before and after exercise. American Journal of Physiology-Endocrinology and Metabolism, 2007, Vol. 292 No. 1
Verfügbar unter: https://www.physiology.org/doi/full/10.1152/ajpendo.00166.2006
5 Cribb Paul J and Hayes A.: Effects of supplement timing and resistance exercise on skeletal muscle hypertrophy. Medicine & Science in Sports & Exercise, 2006, Vol. 38 No. 11
Verfügbar unter: https://journals.lww.com/acsm-msse/fulltext/2006/11000/Effects_of_Supplement_Timing_and_Resistance.6.aspx